Projektmitarbeiter Maik Nübel hat Prof. Dr.-Ing. habil. Matthias Schmidt, geschäftsführender Leiter des Instituts für Fabrikanlagen und Logistik (IFA) und Mitbegründer des KI- und Digitalisierungs-Unternehmens „deepIng“, Fragen zum Thema Künstliche Intelligenz gestellt. Die Antworten lesen Sie im Interview.
Wie definieren Sie Künstliche Intelligenz?
Künstliche Intelligenz hat seinen Ursprung in der Informatik und wertet Daten mit verschiedenen Modellen und Ansätzen aus und ahmt so die menschliche Intelligenz nach. Gerade in den letzten Jahren, in denen wir durch bessere Informations- und Kommunikationstechnologien immer mehr Daten aufnehmen und verarbeiten können, wird der Nutzen dieser Modelle immer größer.
Ein Unterschied zur herkömmlichen Programmierung besteht darin, dass bei der herkömmlichen Programmierung Logiken, Algorithmen programmiert werden, die in Form von Wenn-Dann-Beziehungen Entscheidungen vorgeben. Bei der KI lernen wir letztlich aus den Daten, welche Entscheidungen/Lösungen die besten und günstigsten sind. Das heißt, es wird nichts mehr vorgegeben, sondern die Daten – Vergangenheit oder Prognosen für die Zukunft – bestimmen letztlich die Lösungsfindung.
Laut der neuesten Bitkom-Umfrage wünschen sich viele Unternehmen mehr “KI-Made in Germany.” Wie kann die universitäre Forschung aus Ihrer Sicht dazu beitragen?
Aus meiner Sicht kann die Forschung Beiträge in drei Bereichen leisten. Zum einen können wir an den Methoden der KI forschen, also an den eigentlichen Modellen und Algorithmen, was viele Informatiker und darauf aufbauend Data Scientists bereits tun.
Zweitens können wir uns in der Forschung mit den Anwendungsfeldern von KI beschäftigen, also bspw. LLMs in der Auftragsabwicklung. Und das Dritte ist, dass wir gemeinsam mit den Unternehmen KI in die Anwendung bringen können. Das heißt, Anwendungshemmnisse und Hürden abbauen und dann anwendungsnahe Problemlösungsmodelle für die Unternehmen schaffen.
Darauf aufbauend die nächste Frage, wie stellen Sie sich eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Forschung und Wirtschaft in der Zukunft vor?
Ich stelle mir das so vor, dass letztlich aus der Wirtschaft Probleme beschrieben werden, die dann in der Forschung angegangen werden. Das müssen nicht völlig neue Probleme sein. Dabei kann es sich auch um bereits vorhandene Probleme aus bestehenden Aufgaben handeln, die in der Vergangenheit von Fachkräften ausgeführt wurden, die vielleicht zukünftig in der Form gar nicht mehr zur Verfügung stehen.
In der Forschung geht es nicht nur um wissenschaftliche, sondern auch um praxisnahe und handhabbare Lösungen. Dabei sollten Daten und Schnittstellen effizient genutzt und auch ethische Fragen berücksichtigt werden.
Sie haben den Bereich Ethik angesprochen. Welche ethischen Aspekte sollten Ihrer Meinung nach bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz berücksichtigt werden?
Wenn KI die Entscheidungen trifft, etwa Prognosen für Absatz oder Durchlaufzeiten, gibt es wenig ethische Bedenken, da diese primär technische Unterstützung bieten. Kritischer wird es, wenn KI beginnt, Menschen Anweisungen zu erteilen – beispielsweise in der Produktionsplanung oder Logistik. Aktuelle Projekte zeigen, wie KI den Mitarbeitenden direkt Aufgaben zuweist, etwa durch Anweisungen über ein Headset. Dabei stellt sich die Frage, ob es akzeptabel ist, dass Maschinen diese Rolle übernehmen und Menschen steuern.
Welche Herausforderungen sind bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz aus Ihrer Sicht zu überwinden? Insbesondere im Bezug zur Anwendung.
Herausforderungen haben wir ganz oft bei der Datenverfügbarkeit und der Datenqualität. Beispielsweise in der Produktionsplanung und -steuerung: Am IFA beschäftigen wir uns intensiv mit KI zur Verbesserung der Planungsergebnisse. Hier haben wir häufig die Herausforderung einer unvollständigen, ungeordneten oder einfach unsauberen Datenbasis. Diese Hürden müssen bei der Entwicklung und Anwendung überwunden werden, um leistungsfähige Lösungen zu entwickeln.
Zudem müssen die Mitarbeitenden einbezogen werden, um Akzeptanzproblemen vorzubeugen. Hier gibt es sehr unterschiedliche Einstellungen. Die einen sehen es als Unterstützung und die anderen sehen es als Entmündigung oder vielleicht auch als Kontrolle.
Was sind Ihnen bekannte und persönliche Anwendungsfälle, bei denen künstliche Intelligenz bereits jetzt erfolgreich eingesetzt wird – unabhängig von ChatGPT?
ChatGPT ist das Allzweck-Beispiel (lacht). Wenn wir bei der Produktion bleiben, gibt es einige. Zum Beispiel für die Erkennung von Werkzeugverschleiß oder für automatisierte Werkzeugwege in Abhängigkeit von Echtzeitmessungen und Toleranzen.
Dann gibt es Anwendungsfälle auch in Themenbereich unseres Instituts, wo wir PPS-Parameter ermittelt haben und damit Absatzmengen, Plandurchlaufzeiten, Liefertermine prognostizieren können oder eben direkt komplette PPS-Aufgaben durch KI ersetzen. Das klappt schon relativ gut.
KI ist mittlerweile schon in vielen Bereichen nachweislich erfolgreich im Einsatz und unterstützt hier Unternehmen bei der effizienten Gestaltung der Prozesse.
Welche Größe haben die Unternehmen, die KI bereits einsetzen? Haben Sie da Erfahrungswerte?
Also von bis – es sind nicht nur die Großunternehmen, sondern eben auch kleine, die sich mit dem Thema auseinandersetzen und tatsächlich auch sehen, wie bspw. dem Fachkräftemangel durch KI begegnet werden kann.
Welche Potenziale sehen Sie in der Anwendung von künstlicher Intelligenz, insbesondere im Unternehmenskontext?
Ein zentraler Vorteil von KI ist die Effizienzsteigerung, insbesondere in indirekten Prozessen. Sie ermöglicht Unternehmen, zu wachsen, ohne die Mitarbeiterzahl proportional erhöhen zu müssen – ein Schritt in Richtung „Exponential Organization“.
Ein konkretes Beispiel ist die KI-gestützte Angebotserstellung. In einem Projekt wurde eine Lösung entwickelt, bei welcher der Vertriebsmitarbeiter direkt beim Kunden ein Angebot erstellt und dabei dem Kunden einen Richtpreis sowie Vorschläge zu den Arbeitsvorgängen nennen kann. Zuvor dauerte die Angebotserstellung etwa zwei Wochen und erforderte bis zu zehn Arbeitsstunden. Diese Beschleunigung verschafft dem Unternehmen einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil.
Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung eines KI-gestützten Chatbots als Vertriebsassistent. Dabei wurden bestehende Daten wie Produktdatenblätter genutzt, um ein LLM zu trainieren. Der Chatbot kann Kundenfragen, etwa zu verbauten Komponenten, unmittelbar beantworten, ohne dass zusätzliche Vertriebsmitarbeiter benötigt werden. Dies verbessert die Kundenzufriedenheit und steigert die Effizienz im Vertrieb erheblich.
Diese Ansätze zeigen, wie KI zur Steigerung der Transparenz beiträgt, die Unternehmensprozesse beschleunigt und somit Wettbewerbsvorteile generiert
In welche Form werden sich denn die Anforderungen an die Mitarbeitenden durch KI verändern?
Meiner Auffassung nach kann die KI im Prinzip wie ein Mitarbeitender betrachtet werden, der regelmäßig Weiterbildung benötigt. Ein Modell muss nachtrainiert werden, und es braucht eine Art Performance-Messung – ähnlich einem jährlichen Mitarbeitergespräch.
Nehmen wir als Beispiel Lieferzeitprognosen, die eine KI erstellt. Diese sind anfangs oft deutlich genauer als die des Menschen. Wenn sich aber Rahmenbedingungen ändern wie neue Lieferanten, Anlagen oder Fertigungstechnologien, hat die KI dieses Wissen zunächst nicht. Das Modell muss entsprechend angepasst, neu trainiert und Parameter oder auch Belohnungsfunktionen aktualisiert werden. In diesem Sinne benötigt die KI eine „Fortbildung“.
Dafür ist es entscheidend, dass die Mitarbeitenden die Kompetenz entwickeln, die KI zu trainieren und anzupassen. Kenntnisse in Data Science und Data Engineering sind dafür ebenso wichtig wie ein solides Prozessverständnis. Die klassische Ingenieurwissenschaft bleibt unerlässlich, da die zugrunde liegenden Prozesse verstanden werden müssen. Nur wenn Prozesswissen und Datenkompetenz kombiniert werden, kann KI erfolgreich in Produktionsprozessen eingesetzt werden.
Ich glaube daher nicht, dass die klassische Ingenieurwissenschaft verschwinden wird – zumindest nicht in naher Zukunft. Was in 20 bis 30 Jahren sein wird, ist schwer vorherzusagen, weil die Entwicklungen schnell voranschreiten. Aber das Zusammenspiel von Prozesswissen und Datenkompetenz wird in den nächsten Jahren eine zentrale Rolle für Unternehmen spielen.
Jetzt haben wir gerade schon den Zeithorizont bereits angesprochen. Welche Rolle wird KI Ihrer Meinung nach in den nächsten zehn Jahren in der industriellen Produktion spielen?
KI wird eine Schlüsselrolle bei der Effizienzsteigerung und dem Wachstum von Unternehmen spielen, insbesondere angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland. Auch wenn die aktuelle konjunkturelle Lage den Mangel in einigen Bereichen etwas relativiert, ist er in bestimmten Tätigkeitsfeldern, wie z. B. im dispositiven Bereich, nach wie vor deutlich spürbar. Hier kann KI die Prozesse optimieren, Wettbewerbsvorteile schaffen und Unternehmen in die Lage versetzen, trotz begrenzter personeller Ressourcen zu wachsen.
Einige Anwendungsfelder und Jobprofile werden in Zukunft weniger nachgefragt werden, da KI diese Aufgaben übernehmen kann. Dies betrifft vor allem repetitive und datenbasierte Tätigkeiten wie Produktionscontrolling, Rechnungserstellung oder Rechnungsprüfung. In ERP-Systeme integrierte Bots oder LLMs könnten diese Aufgaben effizient und schnell erledigen. Mitarbeitende können direkt Fragen stellen, die von der KI in Echtzeit beantwortet werden – ähnlich wie bei ChatGPT.
Durch diese Automatisierung wird KI nicht nur helfen, die Fachkräftelücken zu schließen, sondern auch die Arbeitsweise in Unternehmen grundlegend verändern. Während Routineaufgaben zunehmend von KI übernommen werden, können sich die Mitarbeitenden verstärkt auf strategische und kreative Tätigkeiten konzentrieren, was langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stärkt.
Gibt es denn etwas, von dem Sie denken, das in diesem Kontext wichtig sein könnte?
Trotz der Euphorie sehe ich den uneingeschränkten Nutzen von KI nicht ganz unkritisch. KI wird in Zukunft vermutlich so selbstverständlich im Alltag eingesetzt werden wie heute das Smartphone. Aber wenn sich Unternehmen und Beschäftigte zu sehr auf KI verlassen, laufen wir Gefahr, die intellektuelle Hoheit zu verlieren.
Entscheidend ist, dass es weiterhin ausreichend Menschen gibt, welche die Technologien verstehen und gestalten. Andernfalls riskieren wir, dass sich die KI eines Tages selbst weiterentwickelt, was zu potenziell problematischen Szenarien führen könnte.